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Gegen presserechtliche Unterlassungsanordnungen kann in Ausnahmefällen unmittelbar Verfassungsbeschwerde erhoben werden

Pressemitteilung Nr. 61/2017 vom 25. Juli 2017

Beschluss vom 06. Juni 2017
1 BvQ 16/17, 1 BvR 770/17, 1 BvR 764/17, 1 BvQ 17/17

Mit ihren Verfassungsbeschwerden und den damit verbundenen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebt die Beschwerdeführerin die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung von Unterlassungsverfügungen wegen Veröffentlichungen im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr vor Erlass der Unterlassungsanordnungen vom Landgericht ohne sachlichen Grund und unter bewusster Umgehung ihrer prozessualen Rechte das rechtliche Gehör verwehrt würde. Dieses entspräche ständiger Praxis. Hintergrund dessen sei, dass sich das Landgericht darauf verlasse, dass die Gehörsverletzung wegen Heilung im späteren fachgerichtlichen Verfahren nicht mehr gerügt werden könne. Um diesem Abschneiden der Rügemöglichkeit zu entgehen, richte sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsetzung der Unterlassungsverfügungen auf der Ebene des Zwangsvollstreckungsrechts. Mit dem heute veröffentlichten Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar könne das von der Beschwerdeführerin gerügte Vorgehen nicht mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen zur Zwangsvollstreckung angegriffen werden. Jedoch kommt insoweit - hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit und das Recht auf ein faires Verfahren - die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Unterlassungsverfügung in Betracht. Allerdings ist die insoweit geltende Monatsfrist im vorliegenden Fall bereits abgelaufen.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin verlegt unter anderem das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Im Dezember 2016 erschienen im „Spiegel“ zwei Beiträge, die sich mit dubiosen Geschäfts- und Steuerpraktiken im Profifußball beschäftigten. In der Januarausgabe 2017 berichtete „Der Spiegel“ über die Zustände in einem Heim für jugendliche Flüchtlinge in Norddeutschland. In beiden Fällen untersagte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg auf Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens im Wege der einstweiligen Verfügung die Veröffentlichung und Verbreitung mehrerer Passagen der beanstandeten Artikel. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin habe das Landgericht den Antragstellern zuvor Hinweise erteilt. Die Verfügungen ergingen in dem einen Fall dreieinhalb Wochen und in dem anderen Fall fünf Wochen nach Antragstellung beim Landgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, und somit ohne dass die Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

Gegen diese Beschlüsse erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch und beantragte die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Das Landgericht Hamburg lehnte diese Anträge mit den hier angegriffenen Beschlüssen ab. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügt die Beschwerdeführerin vornehmlich eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Landgericht hat zwischenzeitlich in beiden Verfahren mündlich verhandelt und durch Urteil (§§ 936, 925 Abs. 1 ZPO) entschieden.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerden liegen nicht vor, da sie unzulässig sind.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung wendet, haben sich die von ihr unmittelbar angegriffenen Beschlüsse zwischenzeitlich erledigt. Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerden so auszulegen sind, dass die Beschwerdeführerin mittelbar eine Verletzung ihrer Grundrechte durch die ihrer Ansicht nach prozessrechtswidrig erlassenen Unterlassungsverfügungen selbst rügt, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.

Hinsichtlich der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist die Verfassungsbeschwerde deshalb unzulässig, weil eine mögliche Grundrechtsverletzung insoweit mittlerweile geheilt ist. Im Rahmen der später vom Landgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung ist ihr rechtliches Gehör gewährt worden.

3. Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber eine Verletzung ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit und auf ein faires Verfahren rügt, hat sich dies durch die mündlicher Verhandlung vor dem Landgericht nicht erledigt und kommt eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Unterlassungsverfügung selbst grundsätzlich in Betracht. Dem steht nicht entgegen, dass die geltend gemachten Rechtsverletzungen abgeschlossen sind und durch eine Verfassungsbeschwerde nicht mehr beseitigt werden können. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Verfassungsbeschwerde insoweit auf ein Fortwirken des Feststellungsinteresses gestützt werden kann. Die Verfassungsbeschwerde ist diesbezüglich jedoch verfristet. Da es keine prozessualen Möglichkeiten gibt, die insoweit geltend gemachten Grundrechtsverletzungen einer fachgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, ist Beginn für den Lauf der Verfassungsbeschwerdefrist der Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweilige Verfügung. Danach war bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde die hierfür geltende Monatsfrist bereits abgelaufen.