Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen den Ausschluss des Vergütungsanspruchs der Apotheker bei Nichtbeachtung von Rabattverträgen

Pressemitteilung Nr. 45/2014 vom 27. Mai 2014

Beschluss vom 07. Mai 2014
1 BvR 3571/13

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden von Apothekern gegen die sogenannte Retaxation auf Null nicht zur Entscheidung angenommen. Die Apotheker wenden sich gegen Urteile des Bundessozialgerichts, nach denen Vergütungsansprüche gegen die gesetzlichen Krankenkassen vollständig ausgeschlossen sind, falls Arzneimittel ohne Beachtung von Rabattverträgen abgegeben werden. Für die Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer, insbesondere ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit, ist auf Grundlage des Vorbringens der Verfassungsbeschwerden nichts ersichtlich.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

1. § 129 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) regelt unter anderem die Verpflichtung von Apotheken zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel in den Fällen, in denen ein Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat ("aut-idem-Regelung"). Bei der Abgabe eines wirkstoffgleichen Arzneimittels ist die Ersetzung grundsätzlich durch ein Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Rabattvereinbarung mit Wirkung für die betroffene (gesetzliche) Krankenkasse besteht. Das Nähere regelt auf der Grundlage des § 129 SGB V ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband. 2. Die Beschwerdeführer sind Apotheker. Im Oktober 2007 gaben sie an Versicherte der im Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse jeweils ein Arzneimittel ab, das in der ärztlichen Verordnung mit der Maßgabe "aut idem" bezeichnet war. Die Krankenkasse hatte für das jeweilige Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag geschlossen, jedoch für andere, hiermit austauschbare Arzneimittel. Aus diesem Grund vergütete die Krankenkasse den jeweils abgerechneten Betrag in Höhe von 17,49 € beziehungsweise 47,08 € im Ergebnis nicht. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor dem Bundessozialgericht ohne Erfolg. Mit dem abgegebenen Arzneimittel habe die Apotheke ihre öffentlich-rechtliche Leistungspflicht nicht erfüllt, sondern das Substitutionsgebot für das jeweils "aut idem" verordnete Rabattarzneimittel missachtet. Der Verstoß gegen das Substitutionsgebot schließe jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg, weil für eine Verletzung der gerügten Grundrechte nichts ersichtlich ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt sein könnten.

1. Zunächst ist nicht aufgezeigt, dass die formalen Anforderungen in Bezug auf den berufsbezogenen Gesetzesvorbehalt nicht erfüllt sind. Die vom Bundessozialgericht vorgenommene Auslegung des SGB V und des Rahmenvertrags bewegt sich im Rahmen herkömmlicher Rechtsfindung. Es ist Aufgabe und Befugnis der Fachgerichte, die Zweifelsfragen, die sich - wie hier - mangels einer ausdrücklichen Regelung bei der Gesetzesanwendung stellen, mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten.

Die Beschwerdeführer stellen lediglich ihre eigene Auslegung dem Normverständnis des Bundessozialgerichts gegenüber, ohne hinreichend substantiiert aufzuzeigen, dass sich die Auslegung in den angegriffenen Entscheidungen nicht mehr im Rahmen anerkannter Methoden der Rechtsfindung bewegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Regelung von Sanktionen, die im Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 4 SGB V zu erfolgen hat und in § 11 des Rahmenvertrags auch tatsächlich erfolgt ist, unter systematischen Gesichtspunkten gegen die vom Bundessozialgericht angenommene Rechtsfolge sprechen sollte, zumal auch im einschlägigen Rahmenvertrag das Nebeneinander von Vertragsmaßnahmen und Retaxationen vorausgesetzt wird.

2. Zudem gibt es keine Hinweise darauf, dass das Bundessozialgericht bei seinen Entscheidungen durch den vollständigen Vergütungsausschluss unverhältnismäßig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit der Beschwerdeführer eingegriffen hätte.

a) Auch auf der Grundlage der Ausführungen der Beschwerdeführer ist nicht erkennbar, dass die vom Bundessozialgericht gewählte Auslegung nicht geeignet ist, um dem genannten Gemeinwohlbelang, das heißt der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, zu dienen. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung der Beschwerdeführer, wonach die pauschale "Retaxation auf Null" nicht erforderlich sei, weil es mildere und insbesondere differenziertere Mittel gebe, um den Abgabevorschriften Wirksamkeit zu verleihen.

Insbesondere legen die Beschwerdeführer nicht plausibel dar, dass die nach § 129 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit § 11 des Rahmenvertrags vorgesehene Möglichkeit einer Vertragsmaßnahme ein gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel ist, um die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen. Entscheidend ist, dass die Vertragsmaßnahmen nicht bereits im konkreten Fall auf die Verletzung des Substitutionsgebots reagieren können.

Ein auf die "Sowiesokosten" im Falle der Abgabe eines Rabattvertragsarzneimittels beschränkter Vergütungs- beziehungsweise Bereicherungsanspruch stellt zwar ein milderes Mittel als der vollständige Vergütungsausschluss dar, ist aber nicht in gleicher Weise geeignet. Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass der Ausschluss jeglicher Vergütung wegen der weitergehenden Nachteile für die Apotheken stärkere Wirkungen für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots zeigt.

b) Schließlich ergibt sich auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführer keine Unzumutbarkeit des vollständigen Vergütungsausschlusses bei einem Verstoß gegen das Substitutionsgebot. Das Ausmaß einer wirtschaftlichen Betroffenheit haben die Beschwerdeführer weder in Hinblick auf ihre eigenen Betriebe noch in genereller Hinsicht hinreichend konkret dargelegt. Gegen eine Annahme der Unzumutbarkeit spricht zudem entscheidend, dass es die Beschwerdeführer selbst in der Hand haben, ihre Vergütungsansprüche durch ein pflichtgemäßes, dem Substitutionsgebot entsprechendes Ausgabeverhalten zu verdienen und für sich zu sichern.