Bundesverfassungsgericht

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Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung der Ratifikation von ESM-Vertrag und Fiskalpakt überwiegend erfolglos

Pressemitteilung Nr. 67/2012 vom 12. September 2012

Urteil vom 12. September 2012
2 BvR 1390/12

Das Bundesverfassungsgericht hat heute sein Urteil über mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verkündet. Die Anträge sind vor allem darauf gerichtet, dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache zu untersagen, die am 29. Juni 2012 von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetze auszufertigen und damit die Voraussetzung für die Ratifikation der mit ihnen gebilligten völkerrechtlichen Verträge - des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) und des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (sog. Fiskalvertrag) - zu schaffen.

Über den Sachverhalt informiert die Pressemitteilung Nr. 47/2012 vom 2. Juli 2012. Sie kann auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts eingesehen werden.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Anträge mit der Maßgabe abgelehnt, dass eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig ist, wenn völkerrechtlich sichergestellt wird, dass 1. durch die in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 des ESM-Vertrages (ESMV) geregelte Haftungsbeschränkung sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM (190.024.800.000 Euro) begrenzt sind und keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt werden darf, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters in den Gremien des ESM höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden, 2. die Regelungen des ESM-Vertrages über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM (Art. 32 Abs. 5, Art. 35 Abs. 1 ESMV) und die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen (Art. 34 ESMV) einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht entgegenstehen.

Die Bundesrepublik Deutschland muss zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein will, falls sich die von ihr geltend zu machenden Vorbehalte als unwirksam erweisen sollten.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

I. Prüfungsumfang/Zulässigkeit der Hauptsache 1. Der Senat hat seine Prüfung in den vorliegenden Eilverfahren - abweichend vom regelmäßigen Prüfungsumfang im Verfahren der einstweiligen Anordnung - nicht auf eine reine Folgenabwägung beschränkt, sondern die angegriffenen Zustimmungsgesetze zu den völkerrechtlichen Verträgen einschließlich der Begleitgesetzgebung summarisch daraufhin geprüft, ob die von den Antragstellern zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzungen vorliegen. Eine summarische Prüfung der Rechtslage war geboten, weil die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifikation der Verträge völkerrechtliche Bindungen eingeht, von denen sie sich, sollten im Hauptsacheverfahren Verfassungsverstöße festzustellen sein, nicht mehr ohne weiteres lösen könnte. Ergäbe eine summarische Prüfung im Eilverfahren, dass die behauptete Verletzung des Demokratiegebotes, das Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung festschreibt, mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist, läge in der Nichtgewährung einstweiligen Rechtsschutzes ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl. Hierzu könnten die wirtschaftlichen und politischen Nachteile, die mit einem verzögerten Inkrafttreten der angegriffenen Gesetze verbunden sein könnten, nicht in Abwägung gebracht werden.

2. Der Senat hat die Verfahren in der Hauptsache nur insoweit für zulässig erachtet, als die Antragsteller unter Berufung auf Art. 38 GG eine Verletzung der durch das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich verankerten haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages geltend machen.

Soweit die Antragsteller im Verfahren 2 BvR 1421/12 gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Eurorettung, insbesondere den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, einwenden, diese überschritten den Ermächtigungsrahmen der deutschen Zustimmungsgesetze zu den Unionsverträgen (sog. "ausbrechende Rechtsakte"), ist ihr entsprechender Feststellungsantrag von dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mit umfasst und bleibt damit einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. II. Prüfungsmaßstab Wie der Senat bereits in der Entscheidung zur Griechenlandhilfe und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität vom 7. September 2011 festgestellt hat, fordert Art. 38 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG), dass die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand als grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat in der Hand des Deutschen Bundestages verbleibt. Auch in einem System intergouvernementalen Regierens müssen die Abgeordneten als gewählte Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Insofern ist es dem Deutschen Bundestag untersagt, finanzwirksame Mechanismen zu begründen, die zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können. Es ist dem Bundestag insoweit auch als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Auch bei der Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln muss hinreichender parlamentarischer Einfluss gesichert sein.

Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird auch durch die bisherige vertragliche Ausgestaltung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft, insbesondere durch die Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), abgesichert. Eine demokratisch legitimierte Änderung der unionsrechtlichen Stabilitätsvorgaben ist jedoch nicht von vornherein verfassungswidrig. Das Grundgesetz gewährleistet nicht den unveränderten Bestand des geltenden Rechts, sondern Strukturen und Verfahren, die auch im Rahmen einer kontinuierlichen Fortentwicklung der Währungsunion zur Erfüllung des Stabilitätsauftrags den demokratischen Prozess offen halten und dabei die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments sichern. Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik ist dabei nicht von vornherein demokratiewidrig und kann auch auf der Basis des Unions- oder Völkerrechts erfolgen. III. Subsumtion Nach diesen Maßstäben erweisen sich die Anträge als überwiegend unbegründet.

1. Das Zustimmungsgesetz zur Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV beeinträchtigt das Demokratiegebot nicht. Der durch Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 vorgesehene Art. 136 Abs. 3 AEUV ermächtigt zur Einrichtung eines dauerhaften Mechanismus zur gegenseitigen Hilfeleistung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets. Damit wird die bisherige Wirtschafts- und Währungsunion zwar insofern umgestaltet, als sie sich von dem die Währungsunion bislang charakterisierenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte löst. Die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Währungsunion wird dadurch jedoch nicht aufgegeben, weil die wesentlichen Bestandteile der Stabilitätsarchitektur, insbesondere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Haushaltsdisziplin und die Eigenverantwortlichkeit der nationalen Haushalte unangetastet bleiben. Die durch Art. 136 Abs. 3 AEUV unionsrechtlich eröffnete Möglichkeit zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus führt nicht zu einem Verlust der nationalen Haushaltsautonomie, weil der Deutsche Bundestag mit dem hier angegriffenen Zustimmungsgesetz noch keine haushaltspolitischen Kompetenzen auf Organe der Europäischen Union oder in ihrem Zusammenhang errichtete Einrichtungen überträgt. Art. 136 Abs. 3 AEUV setzt selbst keinen Stabilisierungsmechanismus ins Werk, sondern eröffnet den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit, einen entsprechenden Mechanismus auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren. Das Ratifikationserfordernis für die Einrichtung des Stabilitätsmechanismus setzt eine Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane vor dessen Inkrafttreten voraus.

2. Das angegriffene Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages im Wesentlichen Rechnung.

a) Es bedarf jedoch im Rahmen des völkerrechtlichen Ratifikationsverfahrens der Sicherstellung, dass die Regelungen des ESM-Vertrages nur so ausgelegt werden, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Zustimmung des Bundestages über ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM hinaus erhöht werden kann und die Unterrichtung von Bundestag und Bundesrat nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleistet bleibt.

Zwar dürfte die in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV geregelte ausdrückliche Haftungsbeschränkung der ESM-Mitglieder auf ihren jeweiligen Anteil am genehmigten Stammkapital die haushaltswirksamen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit den Aktivitäten des ESM verbindlich auf 190.024.800.000 Euro begrenzen; diese Obergrenze dürfte auch für sämtliche Kapitalabrufe nach Art. 9 ESMV gelten, einschließlich der "revidierten erhöhten" Kapitalabrufe nach Art. 25 Abs. 2 ESMV, die bei Zahlungsausfall eines ESM-Mitglieds an die verbliebenen leistungsfähigen Mitgliedstaaten ergehen können und diese entsprechend höher belasten. Nicht ausgeschlossen ist jedoch auch eine Auslegung des ESM-Vertrages dahingehend, dass die ESM-Mitgliedstaaten sich in den Fällen eines revidierten erhöhten Kapitalabrufs nicht auf die Haftungsobergrenze berufen können, weil Art. 25 Abs. 2 ESMV nach seinem Wortlaut keine höhenmäßige Begrenzung enthält und darauf gerichtet ist, auch in unerwarteten Notsituationen die Bonität des ESM zu sichern und seine Handlungsfähigkeit zu erhalten. Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die haushaltsmäßigen Belastungen klar und abschließend festzulegen, muss die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des ESM-Vertrages daher für die gebotene Klarstellung sorgen und sicherstellen, dass sie an den Vertrag insgesamt nur dann gebunden ist, wenn für sie ohne Zustimmung des Bundestages keine über die Haftungsobergrenze hinausgehenden Zahlungspflichten begründet werden können.

Eines solchen Vorbehalts im Ratifikationsverfahren bedarf es auch hinsichtlich der Regelungen des ESM-Vertrages über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM (Art. 32 Abs. 5, Art. 35 Abs. 1 ESMV) und die berufliche Schweigepflicht der Organmitglieder des ESM und aller für den ESM tätigen Personen (Art. 34 ESMV). Es spricht zwar viel dafür, dass diese Regelungen vor allem Informationsflüsse an unberechtigte Dritte, etwa Beteiligte am Kapitalmarkt, unterbinden wollen, nicht jedoch an die Parlamente der Mitgliedstaaten, die die auf dem ESM-Vertrag beruhenden Bindungen auch im weiteren Vertragsvollzug gegenüber ihren Bürgern verantworten müssen. Da die Bestimmungen jedoch keine ausdrückliche Regelung zur Information des ESM gegenüber den nationalen Parlamenten enthalten, ist angesichts der unterschiedlichen Verfassungsrechtslage zu den Beteiligungs- und Informationsrechten des Parlaments in den Mitgliedstaaten auch eine Auslegung denkbar, die einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle des ESM durch den Deutschen Bundestag entgegenstünde. Eine Ratifikation des ESM-Vertrages ist daher nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellt, die gewährleistet, dass Bundestag und Bundesrat bei ihren Entscheidungen die für ihre Willensbildung erforderlichen umfassenden Informationen erhalten.

b) Im Übrigen sind die Bestimmungen des ESM-Vertrages bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Die Regelung des Art. 4 Abs. 8 ESMV, wonach sämtliche Stimmrechte eines Mitgliedstaates ausgesetzt werden, wenn dieser seinen Einzahlungspflichten gegenüber dem ESM nicht vollumfänglich nachkommt, ist zwar im Hinblick auf ihre potentiell weitreichenden Folgen unter dem Gesichtspunkt der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung nicht unproblematisch, da der betroffene Mitgliedstaat für die Dauer seiner Säumnis keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen des ESM besitzt. Damit liefe die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen des deutschen Vertreters in den Organen des ESM leer und wäre der Legitimationszusammenhang zwischen Parlament und ESM für diesen Zeitraum unterbrochen. Die Regelung verletzt die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages jedoch nicht, weil dieser dafür Sorge tragen kann und muss, dass es nicht zu einer Aussetzung der deutschen Stimmrechte kommt. Er hat insoweit die haushaltsrechtlichen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die deutschen Anteile am genehmigten Stammkapital des ESM jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können.

Des Weiteren kann nicht festgestellt werden, dass die Höhe der mit der Beteiligung am ESM übernommenen Gewährleistungen im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro die haushaltswirtschaftliche Belastungsgrenze derart überschreitet, dass die Haushaltsautonomie praktisch vollständig leerliefe. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des deutschen Gesamtengagements für die Stabilisierung der Europäischen Währungsgemeinschaft. Dem Gesetzgeber kommt bei der Prüfung, ob der Umfang von Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen zu einer Entäußerung der Haushaltsautonomie des Bundestages führt, ein weiter Einschätzungsspielraum zu, der auch die Abschätzung des künftigen wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland umfasst, einschließlich der Berücksichtigung der Folgen alternativer Handlungsoptionen. Die Beurteilung des Gesetzgebers, dass mit der Zurverfügungstellung der deutschen Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus noch überschaubare Risiken eingegangen würden, während ohne die Gewährung von Finanzhilfen durch den ESM nicht absehbare, schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem drohten, überschreitet seinen Einschätzungsspielraum nicht und ist vom Bundesverfassungsgericht daher hinzunehmen.

Gegen den ESM-Vertrag selbst kann auch nicht eingewandt werden, dass der ESM zum Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank werden könnte. Da eine Aufnahme von Kapital durch den ESM bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit dem in Art. 123 AEUV verankerten Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt. Der Europäische Stabilitätsmechanismus unterfällt den in Art. 123 Abs. 1 AEUV genannten Institutionen, an welche keine Kredite durch die Europäische Zentralbank vergeben werden dürfen. Auch eine Hinterlegung von Staatsanleihen durch den ESM bei der Europäischen Zentralbank als Sicherheit für Kredite würde gegen das Verbot unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Stellen verstoßen. Dabei kann offen bleiben, ob hierin eine Übernahme von Schuldtiteln direkt vom öffentlichen Emittenten am Primärmarkt läge oder nach dem Zwischenerwerb durch den ESM einem Erwerb am Sekundärmarkt entspräche. Denn ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt. Inwieweit das vom Rat der Europäischen Zentralbank am 6. September 2012 beschlossene Programm über den Ankauf von Staatsanleihen finanzschwacher Euro-Staaten diesen rechtlichen Vorgaben entspricht, war im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, das sich ausschließlich auf die Zustimmungsgesetze zum ESM-Vertrag und zum Fiskalpakt sowie die entsprechenden Begleitgesetze bezieht, nicht zu entscheiden.

3. Auch die sich aus dem Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag und dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) ergebenden Vorschriften über die Einbindung des Deutschen Bundestages in die Entscheidungsprozesse des ESM genügen im Wesentlichen den Anforderungen an die innerstaatliche Absicherung des Demokratieprinzips. Dies gilt sowohl für die Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages als auch im Hinblick auf seine Informationsrechte und die personelle Legitimation der deutschen Vertreter in den Organen des ESM. Diese haben an den Sitzungen der Organe des ESM teilzunehmen und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages umzusetzen. Das ESM-Finanzierungsgesetz setzt voraus, dass die deutschen Vertreter an die Beschlüsse des Bundestages gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig sind.

a) Zwar ist fraglich, ob die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages auch hinsichtlich der Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des ESM über dem Nennwert (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV) innerstaatlich hinreichend geregelt ist oder ob es insoweit im Hinblick auf die möglichen weitreichenden Wirkungen auf den Bundeshaushalt - ebenso wie für die Erhöhung des Stammkapitals des

ESM - einer ausdrücklichen bundesgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Da bei verfassungskonformer Auslegung des § 4 Abs. 1 ESMFinG die Zustimmung zu einer Anteilsausgabe über dem Nennwert dem Plenum des Bundestages vorbehalten ist, bedarf es insoweit jedoch nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.

b) Bei der Zuordnung der Beteiligungsrechte zu Plenum, Haushaltsausschuss und Sondergremium hat sich der Gesetzgeber an den Kriterien orientiert, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 (2 BvE 8/11; vgl. Pressemitteilung Nr. 14/2012) benannt hat. Es erscheint allerdings nicht ausgeschlossen, dass das ESM-Finanzierungsgesetz dem Haushaltsausschuss Befugnisse zuweist, die wegen ihrer Tragweite vom Plenum wahrzunehmen sind, etwa Entscheidungen über wesentliche Änderungen des Verfahrens und der Bedingungen der Kapitalabrufe des ESM. Einer einstweiligen Anordnung bedarf es indes insoweit ebenfalls nicht. Denn das Plenum des Deutschen Bundestags kann Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zuordnung von Beteiligungsrechten an den Haushaltsausschuss jederzeit dadurch begegnen, dass es in Ausübung seines Rückholrechts nach § 5 Abs. 5 ESMFinG die Befugnisse des Haushaltsausschusses an sich zieht.

4. Das Zustimmungsgesetz zum sog. Fiskalvertrag (SKSV) verletzt nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages. a) Der Regelungsgehalt des Vertrages, dessen Ziel die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Förderung der Haushaltsdisziplin ist, deckt sich weitgehend mit den bereits bestehenden Vorgaben der "Schuldenbremse" des Grundgesetzes (Art. 109, 115 und 143d GG) und den haushaltsspezifischen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Insbesondere ist die Verpflichtung der Vertragsstaaten nach Art. 5 Abs. 1 SKSV, bei übermäßigem Haushaltsdefizit ein genehmigungsbedürftiges Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm vorzulegen, in das bereits primärrechtlich geregelte Defizitverfahren (Art. 126 AEUV) eingefügt. Ein unmittelbarer "Durchgriff" der Organe der Europäischen Union auf die nationale Haushaltsgesetzgebung ist nicht vorgesehen.

b) Der Fiskalvertrag räumt den Organen der Europäischen Union auch keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren. Soweit von den Vertragsstaaten für Fälle erheblicher Abweichungen vom mittelfristigen Ziel der Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts auf nationaler Ebene ein sog. Korrekturmechanismus einzurichten ist und sie sich dabei auf die von der Europäischen Kommission vorzuschlagenden Grundsätze zu stützen haben (Art. 3 Abs. 2 SKSV), betrifft diese Bestimmung lediglich institutionelle, nicht aber konkrete materielle Vorgaben für die Gestaltung der Haushalte. Die Regelung stellt vielmehr ausdrücklich klar, dass die Vorrechte der nationalen Parlamente gewahrt bleiben müssen und schließt damit eine teilweise Übertragung der Budgetverantwortung auf die Europäische Kommission von vornherein aus. Auch die Zuständigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 8 Abs. 1 SKSV mit einer Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 SKSV befasst werden kann, greifen nicht in die konkrete Gestaltungsfreiheit des nationalen Haushaltsgesetzgebers ein.

c) Schließlich geht die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifikation des Fiskalvertrages auch keine irreversible Bindung an eine bestimmte Haushaltspolitik ein. Der Vertrag sieht zwar kein Austritts- oder Kündigungsrecht für die Vertragsstaaten vor. Es ist jedoch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass der einvernehmliche Austritt aus einem Vertrag immer, ein einseitiger Austritt jedenfalls bei einer grundlegenden Veränderung der bei Vertragsschluss maßgeblichen Umstände möglich ist.