Bundesverfassungsgericht

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Fortschreibung des Vollzugsplans unterliegt gerichtlicher Kontrolle

Pressemitteilung Nr. 75/2006 vom 22. August 2006

Beschluss vom 03. Juli 2006
2 BvR 1383/03

Der wegen Mordes verurteilte Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt. Der für ihn im Jahr 1999 erstellte Vollzugsplan wurde in den folgenden Jahren fortgeschrieben. Die Vollzugsplanfortschreibung für das Jahr 2002 enthält - wie bereits die vorhergehende Fortschreibung - die Feststellung, dass der Beschwerdeführer für Vollzugslockerungen nicht geeignet sei. Eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Den gegen die in der Vollzugsplanfortschreibung getroffene Feststellung, dass er für Vollzugslockerungen nicht geeignet sei, gerichteten Antrag des Beschwerdeführers wies das Landgericht als unzulässig zurück. Es handle sich nicht um eine anfechtbare regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG), denn der Beschwerdeführer habe im Vorfeld der Vollzugsplankonferenz keine Lockerungen beantragt. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (Rechtsschutzgarantie) verletzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Die gesetzliche Regelung für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Strafvollzug ist im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes auszulegen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es deshalb darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt. Dies trifft für die hier in Frage stehenden lockerungsbezogenen Elemente des Vollzugsplans zu. Der Vollzugsplan ist vom Strafvollzugsgesetz als zentrales Element für einen dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzug vorgesehen. Er muss einen bestimmten Mindestinhalt enthalten und ist regelmäßig nach Maßgabe der Entwicklung des Gefangenen und weiterer neu gewonnener Erkenntnisse über seine Persönlichkeit fortzuschreiben. Da die Festlegungen des Vollzugsplans bei der Entscheidung über konkrete Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind, haben sie erhebliche Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen.

Auf die Einhaltung der den Vollzugsplan betreffenden gesetzlichen Bestimmungen und die ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Inhalte des Vollzugsplans hat der Gefangene einen einklagbaren Rechtsanspruch. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch lockerungsbezogene Lücken oder Inhalte des Vollzugsplans besteht deshalb unabhängig davon, ob der Gefangene zuvor konkrete Lockerungsmaßnahmen beantragt hat. Daher kann von einem solchen vorausgegangenen Antrag auch der Regelungscharakter im Sinne des § 109 StVollzG nicht abhängen.

Eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG liegt auch nicht nur dann vor, wenn ein Vollzugsplan erstmalig aufgestellt wird. Auch der Fortschreibung bisheriger Inhalte des Vollzugsplans kommt Regelungsgehalt zu. Das gilt jedenfalls insoweit, als die Fortschreibung hinsichtlich der jeweiligen Behandlungsmaßnahme auf erneuter Prüfung beruht oder eine erneute Prüfung erforderlich gewesen wäre. Denn die Beibehaltung von Planinhalten im Rahmen einer Fortschreibung steht, jedenfalls unter den genannten Voraussetzungen, im Hinblick auf die Funktion des Vollzugsplans der erstmaligen Festsetzung neuer Inhalte gleich.