Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerden gegen akustische Wohnraumüberwachung (so genannter Großer Lauschangriff) teilweise erfolgreich

Pressemitteilung Nr. 22/2004 vom 3. März 2004

Urteil vom 03. März 2004
1 BvR 2378/98

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkündetem Urteil entschieden, dass die in Art. 13 Abs. 3 GG im Jahr 1998 vorgenommene Verfassungsänderung nicht ihrerseits verfassungswidrig ist: Art.13 Abs. 3 GG ist mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar. Demgegenüber ist ein erheblicher Teil der Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) zur Durchführung der akustischen Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung verfassungswidrig: § 100 c Abs. 1 Nr. 3, § 100 d Abs. 3, § 100 d Abs. 5 Satz 2 und § 100 f Abs. 1 StPO sind mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs.1 GG, § 101 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO darüber hinaus mit Art. 19 Abs. 4 GG, § 101 Abs. 1 Satz 3 StPO mit Art. 103 Abs. 1 GG und § 100 d Abs. 4 Satz 3 in Verbindung mit § 100 b Abs. 6 StPO mit Art. 19 Abs. 4 GG nach Maßgabe der Gründe unvereinbar.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Rechtszustand bis spätestens zum 30. Juni 2005 herzustellen. Bis zu diesem Termin können die beanstandeten Normen nach Maßgabe der Gründe weiterhin angewandt werden, wenn gesichert ist, dass bei der Durchführung der Überwachung der Schutz der Menschenwürde gewahrt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird.

Im Einzelnen geht es um Folgendes:

Durch die Grundgesetzänderung wurden in Art. 13 GG - dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung - die Absätze 3 bis 6 eingefügt, der bisherige Absatz 3 wurde Absatz 7 des Art. 13 GG. Der Gesetzgeber wollte damit vor allem eine Möglichkeit zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität schaffen. Nach Art. 13 Abs. 3 GG ist nunmehr die akustische Wohnraumüberwachung zum Zwecke der Strafverfolgung möglich. Voraussetzung ist, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, sich der Beschuldigte vermutlich in der Wohnung aufhält und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos ist.

Art. 13 Abs. 3 GG wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einfachgesetzlich ausgestaltet. Im Zentrum steht § 100 c Abs. 1 Nr. 3 Strafprozessordnung (StPO). Danach darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort eines Beschuldigten abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass er eine der in der Vorschrift bezeichneten Katalogtaten begangen hat. Die Befugnis zur Anordnung durch Abhörmaßnahmen liegt bei der Staatsschutzkammer des Landgerichts, bei Gefahr im Verzug ihrem Vorsitzenden. Weitere Vorschriften regeln unter anderem Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote und Pflichten zur Benachrichtigung der Betroffenen. Auch wird die Möglichkeit eröffnet, die Daten in weiteren Zusammenhängen zu verwenden.

Die Beschwerdeführer sehen sich insbesondere in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 46/2003 vom 13. Juni 2003 verwiesen.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

I. Art. 13 Abs. 3 GG, der dem Gesetzgeber ermöglicht, Ermächtigungen zur Wohnraumüberwachung zwecks Strafverfolgung zu schaffen, ist mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet nur Verfassungsänderungen, durch welche die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Zu ihnen gehört das Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Diese Garantie gilt umfassend. Sie erstreckt sich auf alle Normen des Grundgesetzes und damit auch auf Verfassungsänderungen, ohne dass der verfassungsändernde Gesetzgeber dies zusätzlich ausdrücklich anordnen muss. Da die Änderung des Art. 13 GG die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG unverändert gelassen hat, ermächtigt das Grundgesetz nur eingeschränkt zu Überwachungsmaßnahmen, nämlich nur zu solchen, die die Menschenwürde wahren. Geboten ist daher eine restriktive, an der Menschenwürde orientierte Auslegung des Art. 13 Abs. 3 GG.

1. Die Unverletzlichkeit der Wohnung hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und zu dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre der ausschließlich privaten - "höchstpersönlichen" - Entfaltung. Die vertrauliche Kommunikation benötigt einen räumlichen Schutz, auf den die Bürger vertrauen können. Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen gesichert sein, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen.

In diesen Kernbereich darf die akustische Überwachung von Wohnraum nicht eingreifen, und zwar auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege und der Erforschung der Wahrheit. Eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Strafverfolgungsinteresse findet insoweit nicht statt. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diese Freiheit zur Entfaltung in den höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht rechtfertigen.

2. Allerdings verletzt nicht jede akustische Überwachung die Menschenwürde. So gehören Gespräche über begangene Straftaten ihrem Inhalt nach nicht zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung.

Eine auf die Überwachung von Wohnraum in solchen Fällen gerichtete gesetzliche Ermächtigung muss aber unter Beachtung des Grundsatzes der Normenklarheit nähere Sicherungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde enthalten: Das Risiko ihrer Verletzung ist auszuschließen. Auch muss die Ermächtigung den tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 3 GG und den übrigen Vorgaben der Verfassung entsprechen. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Wohnraumüberwachung sind umso strenger, je größer das Risiko ist, dass mit ihnen Gespräche höchstpersönlichen Inhalts erfasst werden könnten. So muss die Überwachung in Situationen von vornherein unterbleiben, in denen Anhaltspunkte bestehen, dass die Menschenwürde durch die Maßnahme verletzt wird. Führt die Überwachung unerwartet zur Erhebung von absolut geschützten Informationen, muss sie abgebrochen werden und die Aufzeichnungen müssen gelöscht werden; jede Verwendung solcher im Rahmen der Strafverfolgung erhobener absolut geschützter Daten ist ausgeschlossen.

Das Risiko, solche Daten zu erfassen, besteht typischerweise beim Abhören von Gesprächen mit engsten Familienangehörigen, sonstigen engsten Vertrauten und Personen, zu denen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (wie z. B. Pfarrern, Ärzten und Strafverteidigern). Bei diesem Personenkreis dürfen Überwachungsmaßnahmen nur ergriffen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesprächsinhalte zwischen dem Beschuldigten und diesen Personen keinen absoluten Schutz erfordern, so bei einer Tatbeteiligung der das Gespräch führenden Personen. Anhaltspunkte, dass die zu erwartenden Gespräche nach ihrem Inhalt einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen, müssen schon zum Zeitpunkt der Anordnung bestehen. Sie dürfen nicht erst durch eine akustische Wohnraumüberwachung begründet werden.

Es besteht eine Vermutung dafür, dass Gespräche mit engsten Vertrauten in der Privatwohnung zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören. Gespräche in Betriebs- und Geschäftsräumen nehmen zwar am Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG teil, betreffen bei einem fehlenden Bezug des konkreten Gesprächs zum Persönlichkeitskern aber nicht den Menschenwürdegehalt des Grundrechts.

II. Die auf Art. 13 Abs. 3 GG gestützte gesetzliche Ermächtigung zur Durchführung der akustischen Wohnraumüberwachung (§ 100 c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 StPO) und weitere damit verknüpfte Regelungen sind in wesentlichen Teilen verfassungswidrig.

1. So hat der Gesetzgeber die mit Blick auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung verfassungsrechtlich gebotenen Überwachungs- und Erhebungsverbote in § 100 d Abs. 3 StPO nicht in ausreichender Weise konkretisiert. Die Überwachung muss ausgeschlossen sein, wenn sich der Beschuldigte allein mit seinen engsten Familienangehörigen oder anderen engsten Vertrauten in der Wohnung aufhält und keine Anhaltspunkte für deren Tatbeteiligung bestehen. Auch fehlen hinreichende gesetzliche Vorkehrungen dafür, dass die Überwachung abgebrochen wird, wenn unerwartet eine Situation eintritt, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist. Auch fehlen ein Verbot der Verwertung und ein Gebot unverzüglicher Löschung rechtswidrig erhobener Informationen. Ferner muss gesichert sein, dass Informationen aus dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, weder im Hauptsacheverfahren verwertet noch zum Anknüpfungspunkt weiterer Ermittlungen werden.

2. Nach Art. 13 Abs. 3 GG kommt eine Überwachung nur zur Ermittlung besonders schwerer, im Gesetz einzeln aufgeführter Straftaten in Betracht. Die besondere Schwere ist nur gegeben, wenn der Gesetzgeber die Straftat jedenfalls mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Freiheitsstrafe bewehrt hat. Eine Reihe der in § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO in Bezug genommenen so genannten Katalogtaten erfüllen diese Anforderungen nicht. Sie scheiden daher als Anlass einer Wohnraumüberwachung aus.

3. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ist auch verfahrensrechtlich zu sichern, so insbesondere durch die Einschaltung des Richters (§ 100 d Abs. 2 und 4 Satz 1 und 2 StPO). Der Senat hat die Anforderungen an den Inhalt und die schriftliche Begründung der gerichtlichen Anordnung näher konkretisiert. So sind in der Anordnung Art, Dauer und Umfang der Maßnahme zu bestimmen. Bei einer - grundsätzlich möglichen - Verlängerung des ursprünglich festgesetzten Überwachungszeitraums unterliegen die Staatsanwaltschaft und das Gericht eingehenden Prüfungs? und Begründungspflichten. Das Gericht ist auch zur Sicherung der Beweisverwertungsverbote einzuschalten.

4. Die Regelungen über die Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten (§ 101 StPO) sind nur teilweise mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Grundrechtsträger haben einen Anspruch, grundsätzlich über Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung informiert zu werden. Zu benachrichtigen sind neben dem Beschuldigten die Inhaber und Bewohner einer Wohnung, in denen Abhörmaßnahmen durchgeführt worden sind. Dies gilt auch für Drittbetroffene, es sei denn, durch Recherchen über ihre Namen und Adressen wird der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vertieft.

Die in § 101 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Gründe für eine ausnahmsweise Zurückstellung der Benachrichtigung sind nur teilweise verfassungsgemäß. Unbedenklich ist es, die Benachrichtigung zurückzustellen, wenn andernfalls der Untersuchungszweck oder Leib und Leben einer Person gefährdet sind. Demgegenüber reicht die Gefährdung der - nur pauschal in Bezug genommenen - öffentlichen Sicherheit oder der Möglichkeit des weiteren Einsatzes eines nicht offen ermittelnden Beamten nicht zur Zurückstellung der Benachrichtigung. Auch verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn nach Erhebung der öffentlichen Klage das Prozessgericht über die Zurückstellung der Benachrichtigung entscheidet, so dass ihm Tatsachen bekannt werden, die dem Angeklagten verborgen bleiben.

5. Die gesetzlichen Regelungen über den nachträglichen Rechtsschutz der Betroffenen unter Einschluss von Drittbetroffenen werden verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht.

6. Die Regelungen über die Verwendung personenbezogener Informationen in anderen Verfahren (§ 100 d Abs. 5 Satz 2 und § 100 f Abs. 1 StPO) sind weitgehend verfassungsgemäß. Allerdings führt eine restriktive Auslegung dazu, dass Informationen nur zur Aufklärung anderer ähnlich gewichtiger Katalogtaten und zur Abwehr von im Einzelfall bestehenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter nutzbar gemacht werden dürfen. Der Verwendungszweck muss mit dem ursprünglichen Zweck der Überwachung vereinbar sein. Verfassungswidrig ist das Fehlen einer Pflicht zur Kennzeichnung der weitergegebenen Informationen.

7. Unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG sind die Vorschriften über die Datenvernichtung (§ 100 d Abs. 4 Satz 3, § 100 b Abs. 6 StPO). Der Gesetzgeber hat die Interessen an einer Vernichtung der Daten und das Gebot effektiven Rechtsschutzes gegenüber einer Wohnraumüberwachung nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Soweit die Daten im Interesse der gerichtlichen Kontrolle noch verfügbar sein müssen, dürfen sie nicht gelöscht, müssen aber gesperrt werden. Auch dürfen sie zu keinem anderen Zweck als dem zur Information des Betroffenen und zur gerichtlichen Kontrolle verwendet werden.

III. Die Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt haben der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Nach ihrer Auffassung ist schon Art. 13 Abs. 3 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar und daher nichtig. Sie plädieren dafür, Art. 79 Abs. 3 GG streng und unnachgiebig auszulegen. Es gehe heute, wo man sich inzwischen an den grenzenlosen Einsatz technischer Möglichkeiten gewöhnt zu haben scheint und selbst die persönliche Intimsphäre, manifestiert in den eigenen vier Wänden, kein Tabu mehr ist, vor dem das Sicherheitsbedürfnis Halt zu machen hat, darum, nicht mehr nur den Anfängen eines Abbaus von verfassten Grundrechtspositionen, sondern einem bitteren Ende zu wehren, an dem das durch eine solche Entwicklung erzeugte Menschenbild einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie nicht mehr entspricht. Art. 13 Abs. 3 GG überschreitet die materielle Grenze, die Art. 79 Abs. 3 GG Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG setzt.

Die Grundrechtsnorm enthält ihrem Wortlaut nach keine Eingrenzungen, die sicherstellen könnten, dass bei Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung in der Privatwohnung ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt bleibt. Es erscheint auch fraglich, ob der Gesetzgeber eine solche Einschränkung gewollt hat. Im Gesetzgebungsverfahren sind Änderungsanträge, die auf deren Aufnahme abzielten, mehrheitlich mit dem Argument abgelehnt worden, damit werde die Effektivität des Ermittlungsinstruments gänzlich in Frage gestellt. So ist das höchstpersönliche Gespräch mit Familienangehörigen und engen Vertrauten vom verfassungsändernden Gesetzgeber durch Art. 13 Abs. 3 GG ungeschützt geblieben, da es mit technischen Mitteln belauscht werden darf und lediglich seine Verwertung einfachgesetzlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in Frage steht. Folge davon ist, dass das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen teilweise ausgehöhlt wird und unverdächtige Gesprächspartner des Beschuldigten durch Abschöpfen der in der Privatwohnung herrschenden Vertrauensatmosphäre zum Objekt staatlicher Strafverfolgung werden.

Der durch Verfassungsänderung eingeführte Art. 13 Abs. 3 GG kann nicht durch verfassungskonforme oder verfassungssystematische Auslegung verfassungsfest gemacht werden. Eine Verfassungsänderung ist nach Art. 79 Abs. 3 GG an den in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen zu messen, nicht dagegen mit deren Maßstäben auszulegen, um sie erst auf diesem Wege abweichend vom Wortlaut in Konformität mit der Verfassung zu bringen.

Auch die Senatsmehrheit geht davon aus, dass Art. 13 Abs. 3 GG für sich genommen mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht in Einklang steht. Sie fügt deshalb unter Zuhilfenahme einer systematischen Verfassungsauslegung mithilfe des Menschenwürdegehalts in Art. 13 Abs. 1 GG dem Art. 13 Abs. 3 GG weitere ungeschriebene Grenzen hinzu und engt damit die Ermächtigung zur akustischen Wohnraumüberwachung über den geschriebenen Text hinaus ein. So aber verliert der Menschenwürdegehalt des Wohnraumschutzes seine Sperrwirkung gegenüber Verfassungsänderungen und dient nur noch dazu, als Interpretationshilfe einer ansonsten verfassungswidrigen Verfassungsänderung zu einem verfassungsgemäßen Bestand zu verhelfen. Gerade das, was in der verfassungsändernden Norm gar nicht geschrieben steht, lässt diese die Hürde des Art. 79 Abs. 3 GG überwinden. Die Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes und der rechtsstaatliche Grundsatz der Normenklarheit verbieten es aber dem Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsnorm soweit einzuengen, dass sie die Hürde des Art. 79 Abs. 3 GG nehmen kann, dann aber kompensatorisch die einfachgesetzlichen Regelungen, die sich auf die in der geänderten Verfassungsnorm zum Ausdruck kommende Eingriffsermächtigung stützen, wegen Verfassungswidrigkeit zu beanstanden. Verfassungsänderungen müssen beim Wort genommen werden.

Indem die Senatsmehrheit die Verfassungsmäßigkeit einer verfassungsändernden Norm durch deren verfassungskonforme Auslegung herstellt, schränkt sie außerdem den Geltungsbereich von Art. 79 Abs. 3 in unzulässiger Weise ein, da auf diesem Weg seine für Verfassungsänderungen gesetzten Schranken letztlich nur noch dort greifen, wo der Gesetzgeber Art. 1 oder Art. 20 GG selbst in Gänze abzuschaffen versucht. Art. 79 Abs. 3 GG reicht aber weiter. Denn der Grundgesetzgeber hat bereits eine Verfassungsänderung als unzulässig ausgeschlossen, die die in diesen Artikeln niedergelegten Grundsätze berührt. Geschieht dies, ist deshalb kein Raum mehr für eine verfassungskonforme Auslegung, die einer unzulässigen Verfassungsänderung im Nachhinein zur Verfassungsmäßigkeit verhilft.

Karlsruhe, den 3. März 2004