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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1140/03 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
ber
die Verfassungsbeschwerde
der Frau W...
Bahnhofstrae 85, 14612 Falkensee -
gegen | den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Mrz 2003 - 15 UF 264/02 - |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Prsidenten Papier,
den Richter Steiner
und die Richterin Hohmann-Dennhardt
am 18. Dezember 2003 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Mrz 2003 - 15 UF 264/02 - verletzt die Beschwerdefhrerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an einen anderen Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zurckverwiesen.
- Das Land Brandenburg hat der Beschwerdefhrerin ihre notwendigen Auslagen zu ersetzen.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Ttigkeit wird auf 8.000 (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Grnde:
Die Beschwerdefhrerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts, mit der dieses die gemeinsame Sorge fr das 1990 geborene und aus der Ehe der Beschwerdefhrerin mit dem Antragsgegner des Ausgangsverfahrens hervorgegangene Kind wieder hergestellt hat.
Im Juni 2002 verurteilte das Amtsgericht den Antragsgegner unter anderem wegen Krperverletzung sowie versuchter Vergewaltigung zum Nachteil der Beschwerdefhrerin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewhrung aussetzte. In den Grnden des rechtskrftigen Urteils heit es unter anderem, der Antragsgegner, der berwiegend gestndig gewesen sei, habe die Beschwerdefhrerin anlsslich eines Streits im Dezember 1999 ins Gesicht geschlagen und am Hals gewrgt. Die Handgreiflichkeiten htten mehrere Stunden gedauert. Die Beschwerdefhrerin habe Blutergsse im Schulterbereich und an den Handgelenken sowie blaue Wrgemale erlitten. Im Mai 2000 habe der Antragsgegner versucht, die Beschwerdefhrerin zu vergewaltigen. Sie habe dies durch ihre Gegenwehr verhindern knnen, woraufhin der Antragsgegner der Beschwerdefhrerin heftig ins Gesicht geschlagen habe. Sie habe eine Schdelprellung, eine Schulterprellung, eine Unterarmprellung und multiple Blutergsse erlitten. Bei der Strafzumessung bercksichtigte das Gericht straferschwerend die "erheblich lang andauernde Gewaltanwendung" in beiden Fllen sowie die Verletzungen der Beschwerdefhrerin. Diese habe sich aufgrund der Taten in psychologische Behandlung begeben mssen, die noch heute (bei Urteilserlass) andauere. Auerdem habe sie unter Brechreiz und Schlafstrungen gelitten.
Im Oktober 2002 schied das Familiengericht die Ehe der Beteiligten auf Antrag der Beschwerdefhrerin und bertrug ihr die elterliche Sorge fr das bei ihr lebende Kind. Die Misshandlungen habe die Beschwerdefhrerin trotz Behandlung noch nicht berwunden. Sie lehne deshalb nachvollziehbar und begrndet den Kontakt zu dem Antragsgegner ab. Der Beschwerdefhrerin sei nicht zumutbar, mit diesem ber Sorgerechtsfragen zu kommunizieren. Auch nach Anhrung des Kindes stehe zur berzeugung des Gerichts fest, dass die alleinige Sorgetragung der Mutter dem Kindeswohl am besten entspreche.
Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss hob das Oberlandesgericht die Sorgerechtsregelung auf, ohne den zuvor gestellten Antrag der - zur mndlichen Verhandlung nicht erschienenen - Beschwerdefhrerin auf getrennte Anhrung beschieden zu haben. Zwischen den Eltern bestnde offenkundig Grundkonsens in den wesentlichen, den Sohn betreffenden Fragen. Die abstrakte Befrchtung der Beschwerdefhrerin, es knne knftig in Fragen der elterlichen Sorge auch einmal kontrre Positionen geben, rechtfertige die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht. In den wenigen denkbaren Fllen erscheine eine Kommunikation zwischen den Eltern objektiv - zumindest schriftlich oder per E-Mail - mglich. Der Senat verkenne dabei nicht, dass die Weigerung der Beschwerdefhrerin, mit dem Antragsgegner zu kommunizieren, auf den ihr von ihm zugefgten krperlichen und seelischen Verletzungen beruhe. Dies habe sie allerdings auch nicht gehindert, ihn in finanziellen Fragen zu "kontaktieren". Es stelle sich die Frage, "ob - unabhngig vom Verschulden- bei einseitiger Kommunikationsstrung die Erziehungsfhigkeit des nicht kooperationsfhigen Elternteils tangiert ist".
Mit der hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde rgt die Beschwerdefhrerin eine Verletzung ihrer Grundrechte unter anderem aus Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Der Regierung des Landes Brandenburg sowie dem Antragsgegner wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon der Antragsgegner Gebrauch gemacht hat.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdefhrerin aus Art.6 Abs. 2 Satz1 GG angezeigt (93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen fr eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (93 c BVerfGG). Die fr die Beurteilung mageblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Sorgerecht (vgl. BVerfGE 31, 194 <204f.>; 61, 358 <371f.>; 75, 201 <218f.>; 84, 168 <180>; 92, 158 <178f.>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003 - 1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01 -; abgedruckt in FamRZ 2003, S. 285 <287ff.>) und zum Grundrechtsschutz durch die Ausgestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>) sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits beantwortet.
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdefhrerin in ihrem Grundrecht aus Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG.
a) aa) Das den Eltern gem Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich gegenber dem Staat gewhrleistete Freiheitsrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur fr die Ausbung der Elternverantwortung ist (vgl. BVerfGE 61, 358 <371f.>; 75, 201 <218f.>). Der Schutz des Elternrechts, der dem Vater und der Mutter gleichermaen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003, a.a.O., S. 288). Dabei setzt die gemeinsame Ausbung der Elternverantwortung eine tragfhige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, erfordert ein Mindestma an bereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten. Insbesondere auch fr den Fall, dass die Voraussetzungen fr eine gemeinsame Wahrnehmung der Sorge fehlen, bedarf das Elternrecht der gesetzlichen Ausgestaltung (vgl. BVerfGE 92, 158 <178f.>; vgl. auch BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003, a.a.O., S. 287). Dem dient 1671 Abs.2 Nr. 2 BGB, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die elterliche Sorge allein zu bertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die bertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenber der alleinigen Sorge einen Vorrang einzurumen; ein solcher findet sich auch nicht in der Regelung des 1671 BGB wieder (vgl. BTDrucks 13/4899, S. 63; vgl. auch BGH, FamRZ 1999, S. 1646 <1647>). Genauso wenig kann vermutet werden, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die fr das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003, a.a.O., S. 291; vgl. auch BTDrucks 13/4899, S. 63; BGH, FamRZ 1999, S. 1646 <1647>).
bb) Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>). Das Verfahren muss grundstzlich geeignet sein, eine mglichst zuverlssige Grundlage fr eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).
b) Nach diesen Mastben ist die angegriffene Entscheidung mit Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar. Das Oberlandesgericht hat das Elternrecht der Beschwerdefhrerin grundlegend verkannt. Es hat nicht hinreichend beachtet, welche Anforderungen Art.6 Abs. 2 GG an die Ausbung der gemeinsamen Sorge (aa) und an die Ausgestaltung des Verfahrens stellt (bb).
aa) Das Oberlandesgericht hat verkannt, dass die Ausbung der gemeinsamen Sorge eine tragfhige soziale Beziehung der Eltern voraussetzt. Daher hat es sich auch nicht mit der naheliegenden Frage befasst, ob bei den vorliegenden Begebenheiten eine Verstndigung der Eltern ber wichtige Sorgerechtsfragen berhaupt noch in einer Art und Weise mglich ist, die auch bei einem Dissens der Eltern eine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung gewhrleisten wrde. Sptestens nachdem die Beschwerdefhrerin ein Attest ihrer Psychiaterin vorgelegt hatte, wonach jede Begegnung mit dem Antragsgegner bei ihr mit einer starken Angst vor erneuten Gewaltttigkeiten einhergeht, htte sich der Senat eingehend mit der Frage auseinander setzen mssen, ob die Beziehung der Eltern fr eine gemeinsame Sorgetragung noch tragfhig ist. Stattdessen hat er sich auf die in diesem Zusammenhang zumindest befremdlich wirkende Feststellung beschrnkt, dass die Verletzungen die Beschwerdefhrerin nicht daran gehindert htten, mit dem Antragsgegner in finanziellen Fragen in Kontakt zu treten. Wie sich den Ausgangsakten entnehmen lsst, ging es dabei um Schmerzensgeld wegen der begangenen Taten beziehungsweise um Kindesunterhalt. Nicht nachvollziehbar ist zudem die Erwgung des Senats, dass die Erziehungsfhigkeit der Beschwerdefhrerin in Frage gestellt wre, sollte sie aufgrund der Misshandlungen ihre Fhigkeit, mit dem Antragsgegner zu kommunizieren, eingebt haben.
bb) Daneben ist das vom Oberlandesgericht durchgefhrte Verfahren nicht geeignet gewesen, eine mglichst zuverlssige Grundlage fr eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Der Senat hat nur einen Elternteil, und zwar den Antragsgegner, persnlich angehrt. Vor allem das Ergebnis dieser Anhrung hat das Gericht ersichtlich zu der Feststellung bewogen, dass zwischen den Eltern "offenkundig" Grundkonsens in den wesentlichen Sorgerechtsfragen bestehe. Wie der Anordnung ihres persnlichen Erscheinens zu entnehmen ist, sah es der Senat indes zunchst selbst als notwendig an, sich einen persnlichen Eindruck auch von der Beschwerdefhrerin zu verschaffen. Dies wre angesichts der besonderen Umstnde des Falles auch erforderlich gewesen, um beurteilen zu knnen, ob zwischen den Eltern berhaupt noch eine tragfhige soziale Beziehung besteht. Zu einer persnlichen Anhrung der Beschwerdefhrerin htte auch deswegen Veranlassung bestanden, weil das Oberlandesgericht die zu ihren Gunsten ausgefallene Entscheidung des Familiengerichts, das seinerseits die Beschwerdefhrerin - getrennt von dem Antragsgegner - persnlich angehrt hatte, aufgehoben hat (vgl. Engelhardt, in: Keidel/ Kuntze/Winkler, FGG, 15.Aufl., 50 a Rz. 17ff.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 1993 - 1 BvR 1045/93 -, NJW 1994, S.1208 <1209f.>). Statt aber ihren bereits mit der Beschwerdeerwiderung und unter Bezugnahme auf das Attest ihrer Psychiaterin gestellten Antrag auf getrennte Anhrung zu bescheiden, hat sich das Oberlandesgericht die Verhngung von Ordnungsmitteln gegen die im Termin ausgebliebene Beschwerdefhrerin vorbehalten und am Ende der Sitzung die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung verkndet.
c) Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf dem dargelegten Grundrechtsversto. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht bei Beachtung der sich aus Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wre.
2. Da die Entscheidung somit schon wegen Verstoes gegen Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG aufzuheben ist, bedarf es keiner weiteren Prfung, ob die Beschwerdefhrerin auch in den brigen von ihr geltend gemachten Rechten, insbesondere in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehr und auf ein faires Verfahren, verletzt ist.
3. Die Entscheidung ist gem 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und an das Oberlandesgericht zurckzuverweisen, wobei es angezeigt erscheint, die Sache an einen anderen Familiensenat zurckzuverweisen.
4. Die Entscheidung ber die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdefhrerin beruht auf 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Entscheidung ber die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366ff.>).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier | Steiner | Hohmann-Dennhardt |