BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1767/92 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Firma S...
Rühmkorffstraße 5, Hannover -
1. unmittelbar gegen
a) | das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 29. Oktober 1992 - 13 U 44/92 -, |
b) | das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. Dezember 1991 - 18 O 136/90 -, |
2. mittelbar gegen
54 Absatz 2 Satz 2 und 3, Nr. II. 1 und 2 der
Anlage zu Absatz 4 und Absatz 5 Satz 2 des Gesetzes
über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
(Urheberrechtsgesetz) in der Fassung des Gesetzes vom 24.
Juni 1985 (BGBl I S. 1137)
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Seidl
und die Richter Hömig,
Steiner
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 19. September 1996 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin betreibt zwei Kopierläden, in denen sie die Anfertigung von Fotokopien gegen Entgelt anbietet. Sie wendet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, die sie zur Zahlung der urheberrechtlichen Betreibervergütung verpflichten. Die Urteile beruhten auf § 54 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Urheberrechtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 24. Juni 1985 (BGBl I S. 1137) - UrhG a.F. - in Verbindung mit Nr. II. 2 der Anlage zu § 54 Abs. 4 UrhG a.F.; diese Vorschriften verletzten sie in ihren Grundrechten und seien nichtig. Das gleiche gelte für die Auskunftspflicht nach § 54 Abs. 5 Satz 2 UrhG a.F.
II.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist die Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt.
Die Beschwerdeführerin wird nicht in ihren Grundrechten verletzt. § 54 Abs. 2 Satz 2 UrhG a.F. ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letztere ist regelmäßig bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen gegeben (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <96>). Außerhalb des Verbots einer ungerechtfertigten Verschiedenbehandlung mehrerer Personengruppen läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten von Personen entsprechend dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln (BVerfGE 55, 72 <89>; 60, 329 <346>). Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen oder zu untersuchen, ob sie vom Standpunkt einer Interessengruppe aus die "gerechteste" denkbare Lösung darstellt (vgl. BVerfGE 3, 58 <135 f.>; 68, 287 <301>).
Die Beschwerdeführerin rügt, bei § 54 Abs. 2 UrhG a.F. trete die Betreiber- neben die Gerätevergütung als zusätzlicher Anspruch. Das führe letztlich zu einer höheren Vergütung als bei § 54 Abs. 1 UrhG a.F., wo die Geräte- und Leerkassettenvergütung als einheitlicher Anspruch des Urhebers konzipiert seien.
Für die Unterschiede zwischen beiden Regelungen lassen sich sachgerechte Gründe finden, die schon im Gesetzgebungsverfahren erörtert wurden. Der Anspruch gegen die Gerätehersteller nach § 54 Abs. 1 UrhG a.F. bei Überspielungen auf Bild- und Tonträger bestand bereits seit 1965; die Einführung der Leerkassettenvergütung 1985 sollte die insgesamt als angemessen erachtete Vergütung in diesem Bereich gerechter verteilen, eine bessere, weil nutzungsabhängige Abwälzung auf die Verbraucher erreichen und das Vergütungsaufkommen auch bei einem Rückgang des Geräteabsatzes sichern (BRDrucks 370/82, S. 31 f.). In § 54 Abs. 2 UrhG mußte dagegen eine Vergütungspflicht für Kopien zum persönlichen und sonstigen Gebrauch 1985 erstmals geschaffen werden. Dabei schied eine reine Gerätevergütung aus, weil damit unterschiedliche Sachverhalte einheitlich belastet worden wären, da der Anteil urheberrechtlich geschützter Vorlagen in Bibliotheken und Hochschulen ungleich höher ist als in Unternehmen oder Verwaltungen (BRDrucks 370/82, S. 41 f.). Mit der Kombination von Geräte- und Großbetreibervergütung trug der Gesetzgeber diesen Erwägungen ebenso Rechnung wie den Effizienzforderungen des Bundesrates.
Die Beschwerdeführerin sieht sich weiterhin in ihrem Gleichheitsgrundrecht verletzt, weil die Betreiber von Kopiergeräten in der öffentlichen Verwaltung und der gewerblichen Wirtschaft von der Vergütungspflicht ausgenommen seien. Sie bezieht sich dabei auf Ergebnisse eines Gutachtens zum Kopiervolumen und zum Anteil urheberrechtlich relevanter Kopien 1983; danach wurden in den öffentlichen Verwaltungen über 30 % aller in Deutschland anfallenden Kopien gefertigt (vgl. Nordemann, GRUR 1985, S. 837, 841).
Wie die Argumentation zeigt, mußten die Auswirkungen der Norm aufgrund von Schätzungen prognostiziert werden. Bei Prognosen bezieht sich die verfassungsgerichtliche Prüfung in erster Linie darauf, ob der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Bewertung des erreichbaren Materials orientiert hat; ist dies der Fall, steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 50, 290 <333 f.>). Das Gesetzgebungsverfahren zur Urheberrechtsnovelle 1985 war durch intensive Diskussionen mit allen betroffenen Kreisen besonders über die Frage der Kopiervergütung gekennzeichnet. Zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag wurden die verschiedenen Modelle, die Vergütungspflicht zu verwirklichen, ausführlich erörtert. In den abschließenden Beratungen zog der Rechtsausschuß des Bundestages die verfügbaren Prognosen zu den Auswirkungen der Regelung - darunter auch das zitierte Gutachten - heran, um danach die Höhe der Vergütung zu bestimmen (Protokoll der 50. Sitzung am 14. Mai 1985, S. 11 ff.). Deshalb kann die gesetzgeberische Prognose nicht mit der Begründung beanstandet werden, daß die zugänglichen Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft worden seien, um die voraussichtlichen Auswirkungen der Regelung abschätzen zu können (vgl. BVerfGE 50, 290 <334>).
Der Gesetzgeber hatte weitgehende Gestaltungsfreiheit, die erst überschritten wäre, wenn die unterschiedliche Behandlung nicht mehr auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückzuführen wäre (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 78, 249 <287>).
Die Betreibervergütung für Geräte in Kopierläden fügt sich in das auch sonst im Urheberrecht verwirklichte Stufensystem zur mittelbaren Erfassung des Endverbrauchers ein (vgl. BVerfGE 31, 255 <267>). Wer Geräte für die Herstellung von Ablichtungen entgeltlich bereithält, ermöglicht einer Vielzahl privater Nutzer Eingriffe in fremde Urheberrechte. Ohne die Betreibervergütung könnten die Ansprüche der Urheber gegen diesen Personenkreis kaum durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber handelte allein deshalb nicht sachwidrig, wenn er Betreiber von Geräten in Kopierläden als Zweckveranlasser (vgl. BVerfGE 79, 1 <26>) einer zusätzlichen Vergütungspflicht unterwarf. Das gilt um so mehr, als die Betreibervergütung auf die Kunden der Kopierläden abgewälzt werden kann (vgl. BVerfGE 31, 255 <267>).
Auch im übrigen war die Entscheidung des Gesetzgebers, Behörden und gewerbliche Wirtschaft nicht der Betreibervergütung zu unterwerfen, vertretbar. Die Erwägung, daß in diesen Bereichen nur in geringerem Umfang geschütztes Material abgelichtet wird, war sachgerecht. Hinzu kommt, daß die Höhe der Gerätevergütung auch unter dem Gesichtspunkt bestimmt wurde, umgelegt auf die einzelne Kopie einen vergleichbaren Ausgleich für den Eingriff in das Verwertungsrecht des Urhebers zu schaffen wie durch die Betreibervergütung (Protokoll der 48. Sitzung des Bundestagsrechtsausschusses am 17. April 1985, S. 50).
Nicht außer acht gelassen werden kann, daß sich der Gesetzgeber, wenn es sich um komplexe Sachverhalte handelt, zunächst mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf, um binnen angemessener Zeit Erfahrungen zu sammeln (vgl. BVerfGE 75, 108 <162>). Auch dies rechtfertigt die mit Erlaß des § 54 Abs. 2 Satz 2 UrhG a.F. getroffene Entscheidung. Der Gesetzgeber hat die beanstandete Differenzierung nicht aus den Augen verloren. Die Bundesregierung wurde auf ihren Bericht über die Auswirkungen der Novelle (BTDrucks 11/4929) hin gebeten, zu beobachten, ob die zukünftige Entwicklung es weiterhin rechtfertige, Behörden und die freie Wirtschaft von der Betreibervergütung auszunehmen (BTDrucks 11/5958; 11/4929, S. 22).
Der Auskunftsanspruch nach § 54 Abs. 5 Satz 2 UrhG a.F. ist - wie im bürgerlichen Recht allgemein üblich - im Verhältnis zum Vergütungsanspruch als Hilfsanspruch zu qualifizieren (Palandt/Heinrichs, 55. Aufl., § 261 BGB, Rn. 25). Er stellt weder eine unzulässige Beschränkung der Berufsfreiheit noch eine solche der allgemeinen Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin dar.
Der Auskunftsanspruch erstreckt sich bei der Betreiberabgabe auf die Zahl der insgesamt hergestellten Kopien sowie auf Anzahl, Art und Typ der aufgestellten Geräte. Für den Anteil der Kopien urheberrechtlich geschützter Vorlagen greift dagegen der Wahrscheinlichkeitsmaßstab des § 54 Abs. 2 Satz 3 UrhG a.F. (jetzt: § 54 d Abs. 2 UrhG) ein. Der Betreiber kann allerdings den Gegenbeweis über die tatsächliche Anzahl der vergütungspflichtigen Kopien führen (BTDrucks 10/3360, S. 20; Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht, 1987, § 54 Rn. 18; Nordemann in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 8. Aufl., § 54 Rn. 6). Dafür müßte er für eine Stichprobenzeit umfassende Kontrollen vornehmen und der Verwertungsgesellschaft WORT (VG WORT) Überstücke der Kopien vorlegen (Nordemann, a.a.O., Rn. 6). Darin liegt keine unverhältnismäßige Belastung des Betreibers, zumal ihm auch der Weg offensteht, den nach dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab errechneten Tarif der VG WORT überprüfen zu lassen, wie nicht zuletzt das von der Beschwerdeführerin nachgereichte Urteil des Landgerichts Kiel vom 11. Juli 1995 zeigt.
Offensichtlich unbegründet ist die Rüge, daß die zivilgerichtlichen Urteile gegen den Gleichheitssatz verstießen, weil sie auf den Tarif der VG WORT abstellten, der seinerseits mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. Die von den Verwertungsgesellschaften aufgestellten Tarife sind keine bindenden Normen, sondern stellen lediglich ein bindend abgegebenes Tarifangebot dar. Sie haben damit nur die Funktion, die von den Verwertungsgesellschaften geforderten Vergütungssätze als eine Art Preisliste zusammenzustellen und offenzulegen (Reinbothe in: Schricker, Urheberrecht, 1987, § 13 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Rn. 2). Hält der Nutzer den Tarif für nicht angemessen, kann er die ordentlichen Gerichte anrufen; vorausgehen muß ein Verfahren vor der Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt (§ 16 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz).
Die Beschwerdeführerin wendet sich deshalb gegen Auslegung und Anwendung einfachen Rechts durch das Landgericht und das Oberlandesgericht. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>). Eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Willkürverbots läge erst dann vor, wenn die Urteile bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr nachvollziehbar wären und sich daher der Schluß aufdrängte, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>). Das ist nicht der Fall. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Angemessenheit des Tarifs der VG WORT auf die Einwände der Beschwerdeführerin hin geprüft und mit ausführlicher Begründung bejaht. Ihre Beurteilung wird in der Rechtsprechung geteilt (Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt, ZUM 1989, S. 533 ff.; OLG Karlsruhe, ZUM 1993, S. 236 f.).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Seidl | Hömig | Steiner |