L e i t s a t z
zum Beschluß des Ersten Senats vom 24. Januar 1995
- 1 BvR 1229/94 -
- Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde kann auch dem nach § 94 Abs. 3 BVerfGG Äußerungsberechtigten unter besonderen Voraussetzungen Prozeßkostenhilfe bewilligt werden.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1229/94 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F..., |
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Renate Bockwoldt und Partner, Eppendorfer Landstraße 48, Hamburg -
gegen |
a) |
das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Mai 1994 - 334 S 123/93 -, |
b) |
das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 29. September 1993 - 37 a C 2102/92 -, |
hier: Antrag der Frau K..., |
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Klaus-Peter Wassmann, Waitzstraße 3, Hamburg -
auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten Henschel,
der Richter Seidl,
Grimm,
Söllner,
Kühling
und der Richterinnen Seibert,
Jaeger,
Haas
am 24. Januar 1995 beschlossen:
- Der Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin ist erfolglos auf Räumung ihrer gemieteten Wohnung verklagt worden. Der Vermieter hat gegen die Urteile von Amts- und Landgericht Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese ist der Antragstellerin gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG zugestellt worden. Die Antragstellerin hat Stellung genommen und beantragt, ihr für ihre Vertretung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung ihres Anwalts zu bewilligen.
II.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe liegen nicht vor.
1. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung (seit BVerfGE 1, 109 <110 f.>) davon aus, daß im Verfahren der Verfassungsbeschwerde für den Beschwerdeführer die Bestimmungen der §§ 114 ff. ZPO über die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe entsprechend anzuwenden sind. Allerdings wird Prozeßkostenhilfe im schriftlichen Verfahren nur unter strengen Voraussetzungen bewilligt, weil das Verfahren kostenfrei ist und kein Anwaltszwang besteht (vgl. BVerfGE 27, 57; 78, 7 <19>). Sie wird daher nur gewährt, wenn der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, sich selbst zu vertreten.
Für Äußerungsberechtigte im Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 25, 295 <296>; 79, 252 <254>). Dagegen ist für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde bislang offen geblieben, ob die nach § 94 Abs. 3 BVerfGG äußerungsberechtigte Partei des Ausgangsverfahrens Prozeßkostenhilfe erhalten kann (vgl. BVerfGE 1, 433 <438 f.>).
2. Die Frage ist zu bejahen. Allerdings müssen besondere Voraussetzungen gegeben sein.
a) Auszugehen ist von dem Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe: Sie soll verhindern, daß eine Partei lediglich aus wirtschaftlichen Gründen darin gehindert wird, ihr Recht vor Gericht zu suchen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356> m.w.N.).
Dieser Grundsatz beansprucht auch Geltung für den durch die Entscheidung Begünstigten im Sinne des § 94 Abs. 3 BVerfGG, bei Verfassungsbeschwerden gegen zivilgerichtliche Entscheidungen also regelmäßig den Gegner im Ausgangsverfahren. Zwar ist er nicht Beteiligter des Verfassungsbeschwerdeverfahrens im engeren Sinn, denn er kann dem Verfahren nicht beitreten (§ 94 Abs. 5 BVerfGG). Gleichwohl kann er vom Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens in seiner Rechtsstellung materiell betroffen sein, weil die Möglichkeit besteht, daß eine ihm günstige Entscheidung aufgehoben wird. Das Äußerungsrecht nach § 94 Abs. 3 BVerfGG ist ihm daher auch verfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet. Er muß sich vor Erlaß der Entscheidung nicht nur zum Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage äußern können (vgl. BVerfGE 86, 133 <144> m.w.N.).
b) Das bedeutet jedoch nicht, daß die Prozeßkostenhilfe einem nach § 94 Abs. 3 BVerfGG zur Äußerung Berechtigten allein deshalb zu bewilligen ist, weil er bedürftig ist und die Verteidigung seiner Rechtsstellung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet nicht eine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Der Unbemittelte braucht nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozeßaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357> m.w.N.). Darüber hinaus ergeben sich Einschränkungen aus den Besonderheiten des Verfassungsbeschwerdeverfahrens.
Ebenso wie bei dem Prozeßkostenhilfegesuch eines Beschwerdeführers ist bei dem Gesuch eines Äußerungsberechtigten zu berücksichtigen, daß das Verfahren kostenfrei ist und außerhalb einer mündlichen Verhandlung kein Anwaltszwang besteht. Hinzu kommen weitere Einschränkungen, die aus der besonderen Stellung des Äußerungsberechtigten folgen.
Danach kommt die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe erst nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG in Betracht. Denn bis dahin ist noch völlig offen, ob die Verfassungsbeschwerde überhaupt zur Entscheidung angenommen wird. Einer Äußerung bedarf es in diesem Stadium nicht.
Auch nach erfolgter Zustellung kann § 119 Satz 2 ZPO nicht entsprechend angewendet werden; denn das Bundesverfassungsgericht entscheidet nicht als Gericht eines höheren Rechtszugs, vielmehr ist die Verfassungsbeschwerde ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Andererseits kann aus der Zustellung noch nicht geschlossen werden, daß die Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg hat.
Die Prozeßkostenhilfe ist nur zu bewilligen, wenn eine Stellungnahme zu den in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen aus der Sicht eines vernünftigen Äußerungsberechtigten angezeigt ist. Dies ist grundsätzlich aufgrund einer ex-ante-Betrachtung zu beurteilen, da die Prozeßkostenhilfe nach ihrem Sinn und Zweck eine erst beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ermöglichen soll.
Die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vernünftig und geboten ist, entscheidet sich grundsätzlich nach den in der Verfassungsbeschwerde enthaltenen Angriffen. Will der Äußerungsberechtigte dazu neue Gesichtspunkte vorbringen, die für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Bedeutung sein können, kommt eine Bewilligung in Betracht. Dabei ist das Vorbringen des Äußerungsberechtigten im Prozeßkostenhilfegesuch zu berücksichtigen. Wird mit dem Gesuch bereits die von einem Rechtsanwalt gefertigte Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde vorgelegt, ist diese in die Betrachtung einzubeziehen. Wird in einer solchen Äußerung kein Beitrag zur verfassungsrechtlichen Beurteilung geleistet, scheidet eine Bewilligung aus. Gleiches gilt, wenn der Verfassungsverstoß evident ist und die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ersichtlich vorliegen.
3. Nach diesem Maßstab kann der Antragstellerin Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden. In ihrer Stellungnahme fehlt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rügen des Beschwerdeführers zu Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Entscheidungserheblich für die Verfassungsbeschwerde war die Frage, ob Amts- und Landgericht die Bedeutung der Eigentumsgarantie grundsätzlich verkannt hatten. Für die Rüge aus Art. 103 Abs. 1 GG war zu erwägen, ob das Landgericht zu hohe Anforderungen an die Substantiierungspflicht eines Beweisantrages gestellt und diesen deshalb zu Unrecht abgelehnt hatte. Zu alledem finden sich keine Ausführungen in der Äußerung der Antragstellerin. Soweit sie gerügt hat, daß das Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde von dem Vortrag des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren abweiche, hat sie dies nicht substantiiert dargelegt.
Vizepräsident Henschel ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Seidl |
Seidl | Grimm | |||||||||
Söllner | Kühling | Seibert | |||||||||
Jaeger | Haas |