Leitsatz
zum Beschluß des Ersten Senats vom 7. April 1992
- 1 BvR 1772/91 -
- Zur willkürlichen Auslegung des Zweckentfremdungsverbots im Mietrecht.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1772/91 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
der Frau S..., | |
2. |
des Herrn D..., |
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Georg Waldemar Krebs, Seilerstraße 15, Frankfurt am Main
gegen |
a) |
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Oktober 1991 - 2/11 S 184/91 -, |
b) |
das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 1991 - 33 C 4339/90-26 - |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Dieterich,
Kühling
und der Richterin Seibert
am 7. April 1992 beschlossen:
- Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Oktober 1991 - 2/11 S 184/91 - verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
- Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, daß ihre auf Eigenbedarf (§ 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB) gestützte Räumungsklage erfolglos geblieben ist, weil sie keine Zweckentfremdungsgenehmigung für die Zusammenlegung von zwei Wohnungen eingeholt hatten.
I.
1. Die nicht miteinander verheirateten Beschwerdeführer kündigten der Beklagten des Ausgangsverfahrens das Mietverhältnis über die von ihr gemietete, in Frankfurt am Main gelegene Wohnung zum 1. Februar 1991 mit der Begründung, der Beschwerdeführer wolle diese beziehen; er selbst müsse die von ihm gemietete Wohnung wegen Kündigung seines Vermieters räumen.
Obwohl die Beklagte der Kündigung zunächst nicht widersprach, erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. November 1990 Klage auf künftige Räumung zum 1. Februar 1991. Im Verhandlungstermin vom 24. Januar 1991 äußerte sich die Beklagte weiterhin nicht dazu, ob sie vor Ablauf der Kündigungsfrist räumen werde. In einem nicht nachgelassenen nachgereichten Schriftsatz trugen die Beschwerdeführer vor, die Beklagte habe nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht geräumt.
Das Amtsgericht wies durch Urteil vom 14. Februar 1991 die Räumungsklage wegen Unzulässigkeit ab. Die Beschwerdeführer hätten nicht schlüssig vorgetragen, daß vor Ablauf der Kündigungsfrist Anlaß zur Klagerhebung bestanden habe. Daß die Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung keine Erklärung zur fristgerechten Räumung abgegeben habe, rechtfertige keine andere Beurteilung.
In der Berufungsinstanz vertieften die Beschwerdeführer ihren Vortrag angesichts der Verteidigung der Beklagten: Eine neben der gekündigten gelegene, frei gewordene andere Wohnung solle mit jener zu einer Gesamtgröße von etwa 80 qm zusammengelegt und von dem Beschwerdeführer allein bezogen werden. Eine andere ebenfalls frei gewordene Wohnung solle mit einer Nachbarwohnung zusammengelegt und von der Beschwerdeführerin und dem gemeinsamen Kind bewohnt werden.
Das Landgericht wies die Berufung der Beschwerdeführer zurück. Zwar habe das Amtsgericht die Räumungsklage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, denn die Widerspruchsfrist sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz bereits abgelaufen gewesen. Dennoch habe die Klage keinen Erfolg, weil die Kündigung unwirksam sei.
Es könne offen bleiben, ob die Beschwerdeführer verpflichtet seien, sich mit den frei gewordenen Räumen zu begnügen, oder ob sie ihren Wohnbedarf nur durch Zusammenlegung von jeweils zwei Wohnungen decken könnten. Wenn von letzterem auszugehen sei, fehle es an einer Zweckentfremdungsgenehmigung als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung. Dieser bedürfe es, wenn Wohnraum vernichtet werde. Das geschehe bei der Zusammenlegung von zwei Wohnungen zu einer Wohnung; beide Wohnungen verlören ihren Zweck, als zwei selbständige Wohneinheiten zu dienen, die unabhängig voneinander genutzt werden könnten. Das Zweckentfremdungsverbot solle verhindern, daß Wohnraum als solcher vom Markt verschwinde. Durch eine Zusammenlegung von zwei Wohnungen falle eine dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehende Wohnung ganz weg.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer unter Nennung mehrerer von ihnen als verletzt bezeichneter Bestimmungen des Grundgesetzes, daß sowohl Amts- als auch Landgericht gegen das Gebot eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens verstoßen hätten.
Das Amtsgericht hätte sie darauf hinweisen müssen, daß ihr Vortrag zur Erklärung der Beklagten, nicht ausziehen zu wollen, unzureichend substantiiert sei. Nachdem diese auch nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht geräumt habe, hätte das Gericht erneut in die mündliche Verhandlung eintreten müssen.
Das Landgericht hätte schon in der Terminsladung darauf hinweisen müssen, daß es für die Wirksamkeit der Kündigung auf eine Zweckentfremdungsgenehmigung ankomme. Auf diesen Gedanken hätten sie bis zur Berufungsverhandlung nicht kommen können. Das Verlangen nach einer derartigen Genehmigung verletze sie ferner in ihren Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Ihrer bedürfe es nur, wenn Wohnraum Wohnzwecken entzogen werde, nicht aber, wenn zwei Wohnungen zusammengelegt würden.
3. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts für unbegründet. Hingegen verletze die Entscheidung des Landgerichts Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, weil die Zusammenlegung von zwei Wohnungen nicht gegen das Zweckentfremdungsverbot verstoße. Eine Genehmigung sei nur erforderlich, wenn Wohnraum anderen als Wohnzwecken zugeführt werde.
II.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts richtet, ist sie unzulässig. Die Beschwerdeführer beanstanden, daß dieses ihre Klage als unzulässig abgewiesen hat. Insoweit sind sie aber nicht mehr beschwert, weil das Landgericht diese Auffassung nicht geteilt und die Klage für unbegründet erachtet hat.
III.
1. Hingegen ist die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts zulässig und begründet. Es verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Gegen das Willkürverbot wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muß vielmehr, daß Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (BVerfGE 83, 82 <84>). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
2. Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 (BGBl. I S. 1745) ermächtigt die Landesregierungen, für Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, daß Wohnraum anderen als Wohnzwecken nur mit Genehmigung der von der Landesregierung bestimmten Stellen zugeführt werden darf. Von dieser Ermächtigung hat die Hessische Landesregierung durch die Erste Hessische Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 25. Januar 1972 (GVBl. I S. 19) Gebrauch gemacht und auch Frankfurt am Main als Gemeinde mit Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum bestimmt.
Durch die gesetzliche Regelung, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG mit der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG im Einklang steht (vgl. BVerfGE 38, 348 <370>), sollte einer Verringerung des Wohnungsangebotes durch "Umwidmung" von Wohnraum in Geschäftsraum entgegengewirkt werden (vgl. die Ergebnisniederschrift des Unterausschusses des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen des Bundesrates vom 16. November 1970, S. 9 f.). Die Einfügung des Zweckentfremdungsverbots beruhte auf einer Forderung des Bundesrats. Dieser bezeichnete es in seinem Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses als grundsätzlich unerwünscht, daß bei einer bestehenden Mangellage auf dem Wohnungsmarkt Wohnraum frei und uneingeschränkt dem Wohnzweck entzogen werden könne. Zur Sicherstellung einer ausreichenden Wohnungsversorgung der Bevölkerung bedürfe es eines geeigneten Instruments, durch das die Verringerung des vorhandenen Bestandes an Wohnraum und damit eine Vergrößerung der Wohnungsnotlage verhindert werden könne (vgl. BTDrucks. VI/2564, S. 4). Dieses gesetzgeberische Anliegen kommt im Wortlaut des Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Mietrechtsverbesserungsgesetzes unmißverständlich zum Ausdruck. Eine Zweckentfremdungsgenehmigung ist danach nur dann erforderlich, wenn Wohnraum künftig nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt werden soll. Einer Genehmigung bedarf es nicht, wenn sich an der Nutzung als Wohnraum nichts ändert, weil der Wohnzweck erhalten bleibt. Dem entspricht auch die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach die Zusammenlegung von Wohnräumen innerhalb eines Hauses keine Zweckentfremdung darstellt (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl., Kap. E, Rdnr. 35 ff.; von Brunn, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, Kap. II, Rdnr. 28).
Die Auslegung des Landgerichts verfehlt dieses gesetzgeberische Anliegen grundlegend. So trifft es bereits nicht zu, wie das Landgericht ausführt, daß durch die Zusammenlegung von zwei Wohnungen zu einer Wohnraum vernichtet werde und vom Markt verschwinde. Das Gegenteil ist richtig. Nach wie vor steht der gesamte Wohnraum dem Markt zur Verfügung, denn auch der Vermieter befriedigt an diesem seinen Wohnbedarf. Lediglich die Zahl der Wohneinheiten hat sich verringert. Zwar würde es als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung anzusehen sein, wenn der Gesetzgeber die Zusammenlegung von zwei Wohnungen aus Gründen der Wohnraumbewirtschaftung von einer Genehmigung abhängig machte. Eine solche Absicht müßte aber wenigstens andeutungsweise im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden haben, wenn der Richter hierauf sein Urteil stützen will. Ihm ist es verwehrt, dem Gesetz einen Sinn zu unterlegen, den der Gesetzgeber offensichtlich nicht hat verwirklichen wollen, den er nicht ausgedrückt hat und den das Gesetz auch nicht im Verlaufe einer Rechtsentwicklung aufgrund gewandelter Anschauungen erhalten hat. Die Auslegung des Landgerichts entfernt sich um so mehr vom gesetzgeberischen Anliegen, weil sie jede einmal geschaffene noch so kleine Wohneinheit dem Markt erhalten will und dem Eigentümer nur mit Genehmigung gestattet, diese selbst in Nutzung zu nehmen, wenn er seinen Wohnbedarf ausweiten will. Solange der Gesetzgeber sich nicht veranlaßt sieht, den besonders in Ballungsgebieten entstandenen Wohnraumbedarf dadurch zu befriedigen, daß er bestimmte Wohnungsgrößen vorschreibt und die Zusammenlegung von selbständigen Wohneinheiten vom Vorliegen einer Genehmigung abhängig macht, hat das der Richter hinzunehmen.
3. Es war angezeigt, die Sache gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an eine andere Kammer des Landgerichts zu verweisen, die das materielle Anliegen der Beschwerdeführer zu prüfen haben wird, ob die Wohnung der Beklagten für den Eigenbedarf des Beschwerdeführers benötigt wird.
Herzog | Henschel | Seidl | |||||||||
Grimm | Söllner | Dieterich | |||||||||
Kühling | Seibert |